Der Mythos der Ego-Depletion

Wir hätten wohl alle gerne unbegrenzte Willenskraft, um all die Dinge durchzuziehen, die wir uns vornehmen. Dann könnten wir einfach in kleinen Einheiten lange vor einer Prüfung lernen und würden uns den Stress in den Tagen davor ersparen. Außerdem würden wir alle körperlich fit sein, da das Aufraffen um ins Training zu gehen, durch die unbegrenzte Selbstdisziplin kein Problem wäre. Und wir würden Unmengen an Energie haben, da natürlich auch unsere Ernährung perfekt wäre, da unsere Willenskraft uns hilft beim Schokokuchen stark zu bleiben. Doch warum fällt es uns so schwer, das zu machen, was wir uns vornehmen?

Jeder der sich mit Persönlichkeitsentwicklung auseinandersetzt, stolpert früher oder später auf das Konzept der Ego-Depletion. Die Idee ist, dass einem täglich nur ein gewisses Kontingent von Selbstdisziplin und Willenskraft zur Verfügung steht. Beherrscht man sich also beim Frühstück und isst kein Stück Kuchen, sondern ein nahrhaftes Müsli mit Obst, verringert das die übrige Willenskraft für den Tag. Das würde bedeuten, dass uns diese Entscheidung beim Frühstück Willenskraft nimmt, die wir später bräuchten um uns fürs Training zu motivieren. Man sieht die Willenskraft als einen Muskel, der wie jeder andere, nach Anstrengung ermüdet.

Dieser Irrglaube kommt von einer Studie die 1998 durchgeführt wurde. Dabei wurden die Probanden aufgefordert nüchtern zu erscheinen, weshalb sie natürlich hungrig waren. Der Test wurde als Geschmackstest getarnt und bei Ankunft stand ein Teller mit Schokokeksen und einer mit Radieschen am Tisch. Zufällig wurde ausgewählt, wer Kekse essen darf und wer sich mit Radieschen begnügen muss. Die Probanden wurden kurz alleine gelassen um zu essen und man erzählte ihnen, dass die Unterscheidung für den Geschmackstest wichtig sei. Anschließend sagte man ihnen, dass der Test erst in 15 Minuten weitergeht und fragte, ob sie in der Zwischenzeit ein Rätsel lösen wollen. Das Rätsel war, eine Figur zu zeichnen ohne mit dem Stift abzusetzen, wie beim „Haus vom Nikolaus“. Doch das Rätsel war unlösbar und man untersuchte lediglich wie lange die Probanden durchhalten und es versuchen.

Durchschnittlich hielten die Probanden aus der Schokokeks-Gruppe 19 Minuten lang durch und jene aus der Radieschen-Gruppe nur 8 Minuten. Die Schlussfolgerung war, dass die Radieschen-Gruppe bereits den Muskel der Willenskraft ermüdet hat, da sie sich beherrschen mussten, um nicht die Schokokekse zu essen. Wie man sich vorstellen kann, lässt diese Studie nicht nur die eine Erklärung mit der Willenskraft zu. Es könnte genauso gut sein, dass die Leute die Radieschen essen mussten keine Lust mehr hatten, da sie bereits bei der Zufallsauswahl Pech hatten. Trotzdem hält sich die Theorie der Ego-Depletion und sie wird von verschiedenen Artikeln und YouTubern propagiert.

Doch neueste Studien finden vermehrt, dass es diesen Effekt der Ego-Depletion gar nicht gibt. Studien aus Indien zeigen sogar einen gegenteiligen Effekt, die sogenannte Reverse Ego-Depletion, bei der die Willenskraft immer stärker wird, nachdem man sie benutzt hat. Das passt auch zu den Ergebnissen einer Studie von Carol Dweck (der Autorin vom Buch „Selbstbild“ aus der Bücherliste) im Jahr 2010, die zeigt, dass der Effekt davon abhängt, ob man an die Theorie der Ego-Depletion glaubt oder nicht. Es ist also, wie so oft, eine Frage der Einstellung.

Ich persönlich bin eher ein Anhänger der Reverse Ego-Depletion. Wenn man also bereits produktiv in den Tag startet und gleich Dinge abhaken kann, die man sich vorgenommen hat, verläuft der gesamte Tag produktiver. Diese Dynamik gibt es leider auch in die andere Richtung. Wenn ich gleich nach dem Aufwachen im Bett durchs Handy scrolle, fällt der gesamte Start in den Tag schwerer. Ich kann dir nur empfehlen, falls du diese Angewohnheit hast, unbedingt direkt nach dem Wecker aufzustehen und nicht mit dem Handy in der Hand liegen zu bleiben.

Das Aufstehen direkt nach dem Aufwachen erfordert natürlich auch Willenskraft, doch es bringt einen viel schneller auf Touren. Wenn du wirklich mit dir haderst, probiere einfach einen Countdown von 5 Sekunden zu starten. Jeder Mensch mag Countdowns und keiner mag es, wenn dabei nichts passiert. Wenn du also gedanklich von 5 herunterzählst, wirst du merken, dass du bei 2 Sekunden bereits deinen Fuß aus dem Bett streckst.

Außerdem hilft eine Morgenroutine unglaublich dabei, produktiv in den Tag zu starten. Darum auch der Artikel „Durch die Morgenroutine jeden Tag ein bisschen besser“. Du wirst sehen, wenn du Dinge erledigst, die du dir vorgenommen hast, gibt dir das das Momentum und du wirst noch motivierter.

Abschließend noch ein Zitat von Mahatma Gandhi:

„Stärke wächst nicht aus körperlicher Kraft – vielmehr aus unbeugsamen Willen.“

Eine genauere Beschreibung zu den Studien bezüglich Ego-Depletion findest du in dem Artikel von Dr. Jan Höpker. Wenn du auf der Suche nach neuen Büchern bist, kann ich dir diese Bücherliste empfehlen. Über eine Anmeldung zum Newsletter würde ich mich enorm freuen.


Beitrag veröffentlicht

von